Gelegentlich werde ich gefragt, was ich von Kolloidalem Silber (KS) halte. Vor zehn, fünfzehn Jahren geschah dies noch häufiger. In der Regel frage ich dann nach, um welche Symptome es geht, für die der/die Betreffende sich Hilfe erhofft – und dann schauen wir nach Alternativen zu KS, die ich besser beurteilen kann. Wenn dann immer noch Interesse an KS besteht, hole ich ein bisschen weiter aus, auch weil Silber und Medizin ein spannendes Thema ist, selbst wenn der „Hype“ vorerst hinter uns zu liegen scheint.
Metalle wirken keimhemmend, das macht sich z.B. die Industrie bei Geräten etwa für den Krankenhaus- und Praxisbedarf zunutze. Oder der Zahnarzt, wenn er im Rahmen einer Zahnsanierung Amalgam durch Gold ersetzt: dann haben es „Karius und Baktus“ schwer. Kommen wir mal zum Silber – es gibt viele sinnvolle Anwendungen, vor allem äußerlich, etwa Silbercreme, die das Wachstum von unerwünschten Keimen hemmt, aber offenbar die natürliche Hautflora kaum beeinträchtigt, sondern eher die Hautberuhigung bei Rötungen begünstigt. Neben Cremes können z.B. auch Wäschestücke mit eingewebten Silberfäden diese Funktionen haben.
Silberionen greifen auf verschiedene Weise in die Existenz von Keimen ein. Vor allem blockieren sie bestimmte Enzyme innerhalb der Mikroorganismen. Dies macht man sich heute noch – oder wieder – in Küche und Haushalt zunutze: Spültücher mit einem Anteil an Silberfäden hemmen Bakterien und damit die Geruchsbildung, Wasserfilter werden mit Silber ausgerüstet, Kühlschrankinnenwände mit Silberbeschichtungen geschützt. Aquarien, Swimmingpools, Wassertanks für Wohnmobile usw. – es gibt eine Reihe von Anwendungen. Für Outdoor-Freaks und Abenteurer sind spezielle Reisesets mit Silber zur Wasserdesinfektion im Angebot. Selbst die Raumstation ISS nutzt Silber, um Keime in Schach zu halten.
In Krankenhäusern werden große Oberflächen mit Silberanteilen beschichtet, aber auch Katheter, Kanülen (z. B. Trachealkanülen zur Beatmung), Mundaufsätze und Infusionsnadeln. Manches „ganz normale“ Wundpflaster ist heute standardmäßig mit Silber ausgerüstet. Es gibt aber auch für schwer heilende, große, offene Wunden (z. B. bei Ulcus cruris) spezielle Auflagen mit Silberanteilen, die gegen Bakterien und Pilze wirken.
Allerdings wird teilweise auch vor entsprechenden Produkten gewarnt, vor allem wenn sie „prophylaktisch“ eingesetzt werden. Es geht dabei vor allem um Produkte, die mit Nanosilber, also Silber in kleinster Teilchenform ausgestattet sind. Umwelt- und Verbraucherverbände und auch das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) raten davon ab: „Nanosilber gehört nicht in Lebensmittel, Textilien und Kosmetika“. Zu viele Fragen betreffs der Wirkung im Körper seien noch ungeklärt. Last not least stellt Silber ein Problem für die Umwelt dar. Aus manchen Textilien wird das Silber bereits nach wenigen Wäschen zu 50 Prozent und mehr freigesetzt.
Was hat es nun mit dem kolloidalen Silber (KS) auf sich? Kolloidpartikel sind die kleinsten Teilchen, in die Materie zerlegt werden kann, ohne die elementaren Eigenschaften zu verlieren. KS wird klassischerweise durch Elektrolyse hergestellt: Dabei löst sich Silber von Silberstäben, die in Wasser stehen, durch das Strom geleitet wird. Bis Penicillin und andere Antibiotika in den 1920er und 1930er Jahren erfunden wurden, soll KS oder Silberwasser weltweit breit im Einsatz gewesen sein. Tatsächlich sind die Hauptwirkungen keimhemmend und antientzündlich. Daraus ergibt sich eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten, äußerlich und innerlich: Pilzerkrankungen, Schnittwunden, Insektenstiche, Verbrennungen, Zahnfleischentzündungen, Erkältungen, verschiedenste Infektionen.
Es gibt Studien dazu, allerdings wird KS dabei oft in Kombination mit anderen Stoffen eingesetzt, so dass schwer zu sagen ist, welcher Anteil der Effekte auf KS zurückzuführen ist. Die Wirkung ist also nicht wirklich „bewiesen“, sondern eher „plausibel“, aber viele Details sind ungeklärt. Dies betrifft auch mögliche Nebenwirkungen. Die bekannteste ist die Argyrie, eine schiefergraue Verfärbung der Haut durch Silbereinlagerungen. Sie kommt aber relativ selten vor – bei längerer Einnahme höherer Dosen – und stellt außerdem in erster Linie ein kosmetisches Problem dar. In der weltweit am häufigsten empfohlenen Konzentration von 5 ppm KS (5 Parts pro Million, d. h. 5 Teile Silber auf eine Million Teile Wasser) wird KS vermutlich problemlos vertragen.
Neben der Argyrie wurden vereinzelt Geschmacks- und Geruchsstörungen beschrieben. Und dann gibt es noch Fragen, inwieweit KS die physiologische Darmflora schädigen kann. Da gehen die Meinungen und Praktiken auseinander: Während manche Anwender raten, nach längerer Anwendung von KS etwas Gutes für die Darmflora zu tun (mit Joghurt oder Keimpräparaten), versichern andere, KS greife vor allem unerwünschte Pilze (Candida) und Bakterien an und sei durchaus gut für die Darmflora. Vermutlich ist auch hier alles eine Frage der Dosis, aber wie bestimmt man diese?
Der Ganzheitsmediziner Dr. med. Ingfried Hobert hat vor rund 20 Jahren KS in der Zeitschrift „Naturarzt“ nahezu euphorisch vorgestellt. Damals war er von einer Reise aus Australien zurückgekehrt, wo er KS kennen- und schätzen gelernt hatte. Doch schon einige Jahre später sah er es skeptischer: Auf Reisen nehme er weiterhin eine Batterie und Silberstäbe mit, um Trinkwasser zu entkeimen oder auch eine Halsentzündung zu behandeln. Bei Patienten empfehle er es allerdings nur bei Borreliose, Pfeifferschem Drüsenfieber oder unklaren Infektionskrankheiten, sofern (!) man anderweitig therapeutisch nicht weiterkomme.
Ein Problem mit dem Silberwasser besteht auch darin, dass es relativ bald an Wirksamkeit verliert. Vor allem nach der Öffnung bzw. dem Kontakt mit Luft lässt die Wirksamkeit bald nach (das Silber reagiert mit dem Schwefelwasserstoff in der Luft). Demnach wäre die Eigenherstellung bei akuten Bedarf besser. Hier weiß man jedoch von zahlreichen Betroffenen, dass es nicht immer so klappt wie erwünscht oder die Kunden mit den Geräten nicht zurechtkommen. Außerdem ist die genaue Konzentration des Silbers dabei oft nicht feststellbar – mit Blick auf Wirkung und Nebenwirkung nicht gerade ideal.
Summa summarum: Die Naturheilkunde bietet zahlreiche Mittel für die Indikationen, bei denen KS empfohlen wird – antibiotische, antientzündliche und wundheilende Pflanzen wie Calendula (z. B. in Kombination mit der immunstimulierenden Echinacea) oder Teebaumöl, daneben Propolis, Vitamin C und Vitamin D fürs Immunsystem, Knoblauch und andere. Manche sind zwar mit Nachteilen behaftet: Teebaumöl stinkt, Propolis färbt. Insofern könnte KS als Ergänzung der Hausapotheke dienen. Allerdings frage ich mich bei manchen Indikationen, ob es, angesichts des Preises für KS nicht ein einfaches „Wundspray“ auf der Basis von Wasser, Zink und Eisen „tut“, es kostet fast nichts (in der Drogerie), wirkt aber in vielen Fällen hervorragend. D.h. erstmal vielleicht gut und günstig anfangen, bevor man es komplex und teuer angeht.
Zum guten Schluss möchte ich homöopathische und anthroposophische Heilmittel mit Silber zumindest erwähnen: Deren Effekte beruhen, zumindest was die höheren Potenzen betrifft, auf einem eigenen Wirkmechanismus bzw. sofern es Schnittmengen zu KS & Co gibt, wäre das ein eigenes Kapitel.
© Text: Christoph Wagner, Vors. NHV Taunus; Foto: Brian Allen auf Pixabay
PS. Gerne nehmen wir Ihre Anregungen auf: Falls Sie als Anwender ganz andere Erfahrungen gemacht haben und bereit sind, dies mit ihrem Namen zu bezeugen, sind wir bereit, dies als Ergänzung des Beitrags nachträglich aufzunehmen.