Eine Kolumne mit Tipps von Christoph Wagner (NHV-Vorsitzender)
Medikamente sind in Ländern mit hohem Arzneimittelverbrauch die dritthäufigste Todesursache (nach Herzkrankheiten und Krebs). Rheuma-, Diabetes-, Migränemittel, Blutdruck- und Blutfettsenker, Hormone – in den vergangenen 25 Jahren haben wir manches kommen und gehen sehen. Sobald der Patentschutz abläuft oder Nachfolgerpräparate auf dem Markt sind, tut plötzlich alle Welt, also die wohlinformierte Fachwelt so, als habe man es ja schon länger gewusst, dass die einstigen Wundermittel doch nicht so toll sind. Professoren, die vorher noch die Nicht-Verordnung jener von ihnen beworbenen Medikamente als ärztlichen Kunstfehler anprangerten, erwähnen diese bisweilen nicht einmal mehr.
Wenn von neuartigen Arzneien oder Medikamenten der zweiten oder gar dritten Generation die Rede ist, sollte unsere Alarmanlage anspringen. Bei vielen Indikationen sind die alten Mittel im Nutzen-Risiko-Profil günstiger, ganz zu schweigen von den immensen Kosten der „neuartigen“ Medikamente. Das ist das Perfide an dem System: Da die Patient*innen die Kosten nicht direkt tragen müssen, lassen Sie sich leicht für eine neue und neuste Therapie gewinnen, in der Annahme, es handele sich auch um die beste.
Teure Medizin führt manchmal zu guten Plazeboeffekten (und Nebenwirkungen können diese Effekte absurderweise sogar verstärken). Dagegen sind echte Fortschritte in der medikamentösen Therapie laut Gøtzsche „sehr selten“. Einer der großen Haken an neuen Medikamenten ist oft, dass die Nebenwirkungen vertuscht werden, bis sie nicht mehr zu verheimlichen sind – nicht selten, bis es „genug“ Leichen gegeben hat. Bei mehr als der Hälfte der Medikamente musste nach Markteinführung der Beipackzettel geändert werden, weil ernsthafte Risiken peu a peu bekannt wurden. Nun gibt es Firmen- wie Behördenvertreter, die dazu sagen: „Na, bitte – das System funktioniert doch.“ Viele Arzneimittel sind allerdings richtig gefährlich und die Hersteller wissen es frühzeitig und überlassen es dem Zufall, wann genug schwere Schäden oder gar Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme gemeldet werden. Und auch dann wird oft eben nur der Beipackzettel geändert!
Wie können wir uns schützen? Wir sollten uns zunächst fragen, ob wir überhaupt krank sind, ob wir also ein Medikament brauchen, oder ob uns jemand eine Scheindiagnose, eine erfundene Krankheit untergejubelt hat. Ein aktuelles Beispiel: Nach den Statinen, den vorletzten neuartigen Cholesterinsenkern kommt jetzt wieder eine neue Generation von Lipidsenkern auf den Markt und wird aggressiv beworben. Man folgt dabei „einer in Leitlinien seit Jahren propagierten LDL-Senkung auf konkrete, immer niedrigere Zielwerte – eine Strategie, für die hinreichende Nutzenbelege fehlen“, so das pharmakritische „arznei-telegramm“.
Die Pharmaindustrie weiß, wie man selbst minimale und für die Prognose irrelevante Effekte als „signifikant“ vermarktet. Manche Schlankheitspille führt laut Studienergebnissen dazu, dass die Patienten im Studienverlauf z.B. 3 kg abnahmen – nicht gerade ein Riesenerfolg, wenn man 100 kg wiegt und wenn die 3 kg hinterher schnell wieder zugenommen wurden. Wie skrupellos die Pharmafirmen vorgehen, zeigt sich gerade bei vielen Schlankheitspillen, die nie hätten zugelassen werden dürfen und zahlreiche Menschen das Leben gekostet haben.
Wie wir uns schützen können? Leben Sie gut und gesund, treiben Sie Sport, ernähren Sie sich gesund, verzichten Sie auf Softdrinks (Cola & Co), hören Sie mit dem Trinken von Alkohol auf, sorgen Sie für Entspannung und ausreichend Schlaf, schalten Sie die Glotze ab! Lassen Sie sich keine Angst einjagen. Und: Nehmen Sie kein Medikament, das Sie nicht zwingend benötigen. Wenn Sie einen Hausarzt bzw. eine Hausärztin Ihres Vertrauens haben, fragen Sie ihn (sie) auch zu fachärztlichen Verordnungen. Holen Sie sich im Zweifel eine Zweitmeinung, haben Sie dabei keine Angst zu „nerven“: z.B. wie viele Patienten behandelt werden müssen, damit ein einziger profitiert oder wie deutlich und konkret sich die Prognose durch die Einnahme des Mittels verbessert. Nehmen Sie, falls möglich (es gibt schwerwiegende Erkrankungen oder Stadien, wo dies nicht möglich ist), kein Medikament, das nicht mindestens zehn Jahre zugelassen ist.
Haben Sie den Mut, als unmodern oder konservativ in Bezug auf Innovationen zu gelten. Und ja, die gleiche Vorsicht gilt natürlich gegenüber neuartigen naturheilkundlichen Wundermitteln, egal aus welcher Weltregion sie stammen und welche Ureinwohner damit 120 Jahre alt wurden 🙂
Hinweis: Es kann sehr riskant sein und wird hier ausdrücklich nicht empfohlen, verordnete und evtl. lebenswichtige Medikamente (z.B. Blutdrucksenker) oder auch Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial (z.B. Antipsychotika) eigenmächtig und ohne Rücksprache mit dem Arzt oder Heilpraktiker abzusetzen. Weitere Haftungsausschlüsse finden Sie im Impressum.
© Text: Christoph Wagner, NHV-Vorsitzender (Kurzfassung eines Kommentars auf der Website wastutdirgut.de)
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