Medizin im Einklang mit der Natur besteht nicht primär aus Medikamenten, sondern in der Ordnung unseres Lebens – als Prophylaxe und zur Therapie. Dabei geht es nicht um Vorschriften, sondern um Selbstbestimmung. Eine Art Gesundheitstagebuch kann dabei sehr hilfreich sein.
„Rezepte ausstellen, das kann doch jeder mit ein bisschen Übung“, schimpfte sinngemäß Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836), der große Arzt der Goethe-Zeit, aber das habe doch wenig mit Heilkunde zu tun. Hufeland verfasste 1795 ein Buch mit dem Titel „Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern“, welches damals reißenden Absatz fand. „Hierin waren die Alten vernünftiger als wir“, schreibt Hufeland. „Sie benutzten die Medizin und die Ärzte weit mehr zur Bestimmung ihrer diätetischen Lebensart …“ Der Begriff der „diätetischen Lebensart“ bezieht sich auf die „Diaita“ (Diätetik), die Regeln der gesunden Lebensführung, wie sie schon von Hippokrates (460–370 v. Chr.) formuliert wurden. Da ging es unter anderem um Licht und Luft, Ruhe und Bewegung, Schlafen und Wachen, natürlich auch um die Ernährung – und nicht zuletzt um Gemütsbewegungen.
Wie sieht es mit Ihrer Selbstfürsorge aus: Wie gesund ernähren Sie sich? Zu welchen Zeiten essen Sie? Gönnen Sie sich dabei Ruhe oder machen Sie etwas nebenher? Wie viel bewegen Sie sich während der Arbeit, wie viel in der Freizeit? Sind Sie täglich an der frischen Luft? Wie viele Pausen gönnen Sie sich während der Arbeit? Was tun Sie zu Hause für die Entspannung? Wie sieht die Schlafhygiene aus, sorgen Sie für gute Schlafbedingungen?
Wie geht es Ihnen mit diesen Fragen? Haben Sie Interesse, sich damit zu befassen – oder fühlen Sie sich gleich gegängelt oder ertappt? Als „frisch gebackener“ Heilpraktiker vor rund 25 Jahren dachte ich häufiger: Viele Patientinnen und Patienten bräuchten gar keinen HP, wenn sie nur ihr Leben gesünder gestalten würden. Das ist zum einen keine gute Geschäftsgrundlage. Zum andern kann man sich als „junger Wilder“ mit seiner Gesundheitsmission auch verrennen oder den fiktiven Hörsaal der Naturheilkunde leer predigen. Dann wird aus dem rechten Maß und der Ordnungstherapie schnell eine Orthorexie, eine zwanghaft gesunde Lebensführung nach Vorschriften, und das ist eben manchmal doch nicht so gesund.
Abgesehen von solchen Extremen ist das Potenzial der sogenannten „Ordnungstherapie“ – der Begriff hat sich nie richtig durchgesetzt, wahrscheinlich weil er nach autoritärer Erziehung klingt – immens. Die gängigen Symptome und Krankheiten können fast alle damit zumindest gebessert werden: Bluthochdruck, Verstopfung, Reizmagen, Frauenleiden, Kopf- und Rückenschmerzen, Infektneigung, Juckreiz und andere mehr.
Der zentrale Faktor, der heute eine gesunde Lebensordnung verhindert, scheint der Stress zu sein. „Mehr als 60 Prozent der Arztbesuche sind stressbedingt“, sagen Gesundheitsforscher. Ordnungstherapie bedeutet maßgeblich, dass der Patient sich bewusst wird, wie viel er sich selbst wert ist und wie achtsam er daher mit seinen inneren Signalen umgeht. Sie bedeutet jedoch nicht automatisch nur Disziplin und Askese. Es geht nicht darum, dass wir alle um 21 Uhr zu Bett gehen. Wesentliche Schritte zu einer gesünderen Lebensordnung sehen für verschiedene Patienten ganz unterschiedlich aus. Und es geht bei der Lebensordnung auch um Lebenslust und Lebenskunst!
Beispiel Bluthochdruck: Stress reduzieren bedeutet konkret auch, Kaffee und Alkohol (und natürlich Nikotin!) konsequent reduzieren oder meiden. Dadurch bessert sich zum einen die Schlafqualität, zum andern wird der Körper nicht länger durch künstliche Anregung (Kaffee) und Zwangsentspannung (Alkohol) genötigt, die eigenen Leistungskurven zu unterdrücken. Nur so erfährt man seine Grenzen, erlebt seine Müdigkeitsphasen bewusst und gibt ihnen angemessen nach. 10–15 Minuten Mittagsruhe statt noch mehr Kaffee, und abends um 22 Uhr ins Bett. Der Alkoholverzicht führt zu verbesserter Schlafqualität und überdies bei vielen Hochdruckpatienten zu einer direkten leichten Blutdrucksenkung. Das Salz in der Nahrung zu reduzieren hilft auch einem Teil der Betroffenen, wiederum ein paar mmHg zu gewinnen.
Das Tier verhält sich instinktiv natürlich. Der Mensch ist allerdings auch noch ein Naturwesen, auch im Gehirn, gerade in jenem „tierischen“ Teil, der viele wichtige physiologische Prozesse wie Wärmehaushalt, Blutdruck und Herzschlag unwillkürlich zu regulieren versucht, im „vegetativen“ Nervensystem. Wir können die Signale aus diesem Bereich ignorieren – es wäre auch schrecklich, wenn wir ständig im Alltag damit konfrontiert würden, wie unser Herz schlägt oder welcher Darmabschnitt gerade aktiv ist. Aber wir dürfen diese Selbstregulationen nicht dauerhaft durch eine ungesunde Lebensordnung beschädigen.
Tipp: das Gesundheitstagebuch
Bei vielen ernährungsbedingten Krankheiten hat sich ein „Ernährungstagebuch“ bewährt, bei Migräne tragen „Kopfschmerztagebücher“ wesentlich zum Behandlungserfolg bei. Diese Modelle lassen sich nachahmen mit einem „Gesundheitstagebuch“. Dabei wird nicht unbedingt jeder Tag akribisch festgehalten, sondern eher immer mal wieder Forschung betrieben. Im Gesundheitstagebuch können Erkenntnisse, Pläne und Vorsätze notiert werden.
Manchmal ist das, was „instinktiv“ das Richtige zu sein scheint, genau das Falsche. So kann z. B. Alkohol kurzfristig das Einschlafen erleichtern, beschädigt aber erheblich die Schlafqualität. Oder ein anderes Beispiel: Wer unter Erschöpfung leidet, meint das passive „Abhängen“ wäre das Einzige, wozu er noch in der Lage ist. Gerade aber bei Erschöpfung (und speziell bei depressiven Zuständen im Rahmen von Burnout) hilft paradoxerweise regelmäßige Bewegung, idealerweise an der frischen Luft. Durch die Kombination aus Wissen und selbstgemachter Erfahrung bildet sich eine Intuition dafür, was mir gut tut und was gesund für mich ist. Und: Was man aufgeschrieben hat, prägt sich besser ein!
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Text: © C. Wagner, 1. Vors. NHV Taunus; eine Übersicht über naturheilkundliche Maßnahmen gegen Bluthochdruck finden Sie im Blog auf meiner Website www.wastutdirgut.de: https://wastutdirgut.de/b-wie-bluthochdruck/